Gründer-Studie

Die Start-Up-Welt Berlins

Oft wird der Berliner Start-up-Kosmos in einem Atemzug mit dem Silicon Valley genannt. Aber ist der Hype berechtigt? Einer aktuellen Studie zufolge ist die Szene erwachsen geworden. Von Vergleichen jeder Art wird dennoch abgeraten.

Sie liefern Essen, vernetzen Bauernhöfe und vermitteln Babysitter - in Berlin sorgen ständig neue, kreative Unternehmen für Furore. Doch im Jubel um die deutsche Start-Up-Hauptstadt ist eigentlich nur eine Information recht verlässlich: Mit 2,1 Milliarden Euro Risikokapital avancierte Berlin im vergangenen Jahr zum Investorenliebling Nummer eins in Europa - weit vor den deutschen Rivalen München und Hamburg.

Start-Up-Studie: "Boom ohne Selbstüberhebung"

Und sonst? "Kaum Infos zu Umsatz und Gewinn, unterschiedliche Informationen zur Anzahl der jungen Firmen und ihrer Mitarbeiter, die Quellen dafür meist unklar, die Definition des Begriffs Start-up ebenso", sagt Hergen Wöbken. Der Gründer des Instituts für Strategieentwicklung (IFSE) hat sich das Ökosystem der Start-Up-Szene Berlins im Rahmen der Studie "Booming Berlin" genauer angesehen.

Wöbken fasst zusammen: "Es gibt einen Boom, aber Selbstüberhebung ist nicht angebracht." Seine Zahlen verdeutlichen, wie rasant die Szene gewachsen ist. 620 Start-Ups zählte er Anfang 2016, verglichen mit 270 im Jahr 2012. Dabei zählt das Institut nur solche Unternehmen als Start-Up, die nicht älter als fünf Jahre sind und die ohne Internet nicht denkbar wären. Zudem müssen sie ein skalierbares Geschäftsmodell haben, also innerhalb kürzester Zeit expandieren können.

Die Zahl der Mitarbeiter in Start-Ups hat der Studie zufolge von 6700 im Jahr 2012 auf mittlerweile 13.200 zugelegt und sich damit nahezu verdoppelt. Zusammen genommen wären die Start-Ups damit der fünftgrößte Arbeitgeber der Stadt - gleich nach den Berliner Verkehrsbetrieben und noch vor Siemens, das an der Spree seinen weltgrößten Produktionsstandort betreibt. Auffallend sei die Struktur mit wenigen großen und vielen kleinen Unternehmen. Doch während vor Jahren noch viele der großen Firmen aus dem Imperium der Zalando-Finanziers Samwer stammten, würde die "Last" heute auf viele Schultern verteilt.

Trotz Berlin-Boom: Kein deutsches Silicon Valley in Sicht

Nach Erhebungen der Beratungsgesellschaft EY gingen im vergangenen Jahr 70 Prozent (2,1 Mrd Euro) des gesamten Risikokapitalvolumens in Deutschland an Start-Ups in Berlin. Hamburg und Bayern rangieren mit 300, respektive 260 Millionen Euro auf den Plätzen zwei und drei der Länder-Rangliste. Im europaweiten Ranking folgen London (1,7 Mrd Euro), Stockholm (992 Mio Euro) und Paris (687 Mio Euro). "Es zeigt sich, dass wichtige Akteure in die Stadt gekommen sind", sagt Institutschef Wöbken. Ähnlich wie die Politik nach dem Regierungsumzug zahlreiche Verbände und Institutionen nach Berlin geholt habe, locke die Digitalbranche zahlreiche Investoren sowie Akteure der "Old Economy" und der internationalen Szene in die Stadt.

Für Berlins Wirtschaftssenatorin Cornelia Yzer liegt darin die große Chance der Stadt. "Wir sind zwar kein klassischer Industriestandort", sagt die CDU-Politikerin im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur. Aber schon heute seien in Berlin gegründete Unternehmen zu unverzichtbaren Partnern für multinationale Player geworden. Immer mehr Industriebetriebe investierten in Berlin, so etwa Daimler oder Bayer. "Es ist etwas entstanden, das nachhaltig wirkt", meint Yzer. "Die Start-Up-Szene ist erwachsen geworden."

Auch Studienautor Wöbken sieht die Berliner Start-Up-Szene in der Post-Pubertät, betont aber: "Berlin wird niemals das neue Silicon Valley werden." Zwar stehe die kreative Szene im Rampenlicht, aber "erfolgreicher agieren hier immer noch Firmen, die Ideen von anderen kopieren", sagt Wöbken mit Blick auf die Start-up-Fabrik der Samwer-Brüder, Rocket Internet. Gegenüber Städten wie San Francisco oder New York habe Berlin aber eine soziale Durchlässigkeit. "Das ist ein großer Standortvorteil, weil sich dadurch Menschen mit völlig verschiedenen Hintergründen gegenseitig inspirieren und voneinander lernen können", sagt der Institutsgründer. Dennoch fragt man sich, wie lange das angesichts stark steigender Mieten in den angesagten Vierteln der Stadt noch möglich ist, denn dort haben auch viele Start-Ups ihren Sitz. (dpa/fm)