Von liberalisierten Nachbarn lernen

Deregulierung, Interconnection und Marktstrategien waren einige der intensiv diskutierten Schwerpunktthemen der 3. Handelsblatt-Jahrestagung zum Thema "Telekommarkt Europa" Anfang Juni in Bonn. Es zeigt sich, daß hierzulande die Bereitschaft, in puncto Deregulierung von erfolgreich liberalisierten Nachbarländern zu lernen, noch immer wenig ausgeprägt ist.

Von: Claudia E. Petrik

In seinem Eröffnungsvortrag über den Status und die Entwicklungsperspektiven der europäischen TK-Märkte spannte der Vorsitzende Professor Dr. Torsten J. Gerpott einen weiten Bogen. Ausführlich ging er auf das Thema Interconnection ein, das derzeit hohe Wellen schlägt. "Die Regulierung der Interconnection ist für alternative Carrier mit lückenhaften Netzen erfolgskritisch, weil sie 40 bis 60 Prozent der gesamten Operating-Kosten bestimmen." Da es keine Methodik für die Zuordnung der Kosten für Interconnect-Leistungen gebe, variierten die Preise international enorm. So ergab ein Vergleich von sieben Carriern für eine einminütige Verbindung im Fernbereich (Ovum-Studie von Anfang 1997) eine Spannbreite zwischen 2,67 Pfennig (British Telecom) und 45,93 Pfennig (Telecom New Zealand), wobei Gerpott die Telekom zwischen sieben und neun Pfennig ansiedelt.

Der TK-Experte forderte, daß der Regulierer Grundprinzipien der Preisgestaltung und einen Maximalrahmen für bilaterale Verhandlungen zwischen Telekom und den Mitbewerbern vorgeben solle. "Ich verstehe nicht, wieso die Deutsche Telekom nicht proaktiver an dieses Thema rangeht", verurteilte er das Verhalten des Nochmonopolisten. Nachdem die Verhandlungen über Mietgebühren für den Endkundenzugang gescheitert waren, hatten Arcor, Otelo und Netcologne das Bundespostministerium aufgefordert, der Telekom eine Frist zu setzen, die zweimal nicht eingehalten wurde und nun auf den 14. Juli festgesetzt ist. Auch die EU-Wettbewerbskommission sieht dem Treiben mit Adleraugen zu. Ein von ihr in Auftrag gegebenes Gutachten ergab, daß die Tarife der Telekom weit überhöht waren. Wettbewerbskomissar Karel van Miert erwartet, daß diese Tarife stark abgesenkt werden. "Wir haben eine Task Force gebildet, die einschreitet, sobald die Telekom ihre marktbeherrschende Position mißbraucht", sagte er.

Regulierungsbehörde entsteht zu spät

Beim Thema strategische Erfolgsfaktoren sparte Gerpott nicht mit Kritik an den Energieversorgern, die sich im TK-Markt engagieren: "Die dauernden Umorganisationen und schmerzlichen internen Prozesse, die dort im Gang sind, wirken sich paralysierend aus." In einer Analyse der alternativen Carrier kam der Dozent der Universität Duisburg zu dem Ergebnis, daß Arcor derzeit die stärkste Wettbewerbsposition einnimmt (stark im Mobilfunk, gute Netzbasis durch DB-Kom-Beteiligung). Am schwächsten aufgestellt seien Viag Interkom (schmales Geschäftsportfolio, später Start im Mobilfunk) sowie Thyssen Telecom (schmales Geschäftsportfolio, kein eigenes Netz).

Ein heftig diskutiertes Thema war ferner die Regulierungsbehörde, die entscheidend ist für die Schaffung von Wettbewerb. Arne Börnsen, Vorsitzender des Ausschusses für Post und Telekommunikation des Bundestages, räumte ein, daß "es besser gewesen wäre, die Regulierungsbehörde schon zum 1.1.97 zu installieren". Das Gerangel um die Besetzung der Spitzenpositionen hat seit Anfang Juli ein Ende: Präsident wird der Ministerialdirigent Klaus-Dieter Scheurle, Vizepräsidenten sind Börnsen von der SPD und Volker Schlegel von der FDP.

Die Seite der TK-Anwender vertrat Ernst Weiss, Vize-Chairman Europe der INTUG (International Telecommunications User Group) in Belgien. Er äußerte die Sorge, daß der erhoffte Nutzen der Liberalisierung nur schwer zum Tragen komme und plädierte dafür, viel mehr über die Grenzen zu sehen. "Es gibt in puncto Regulierung sehr viel gute Erfahrungen in Europa. Wir können uns eine Scheibe abschneiden von der Regulierungsbehörde in Schweden, die in kurzer Zeit viel geschaffen hat."

Gewinn durch Liberalisierung

Aus einer globalen Perspektive kommentierten Vertreter von British Telecom und Northern Telecom die Entwicklung innerhalb Europas. "Es geht um die Überlebensfähigkeit Europas im Angesicht der Konkurrenz aus den USA und Asien", warnte Patrick Gallagher, Direktor von BT Europe. China verlege beispielsweise jedes Jahr mehr TK-Kabel als in ganz Großbritannien vorhanden seien. David A. Ball, President Public Carrier Networks bei Northern Telecom, warf die Frage auf, ob es die Alte Welt überhaupt Ernst meine mit der Liberalisierung. "Mein Eindruck ist, daß in Teilen Europas ein starker Protektionismus für das Vorhandene dominiert. Wenn man die liberalisierten Märkte in anderen Ländern betrachtet, sieht man, daß alle Marktteilnehmer von der Liberalisierung gewinnen. Die Preise gehen zurück, die Angebotsvielfalt nimmt zu, die Infrastruktur wird besser und die Märkte wachsen." Solange keine starke Regulierungsbehörde existiere, sei der marktbeherrschende Anbieter wie ein schwarzes Loch, in dem alles verschwinde.