Verteildienst

Dem Internet droht Konkurrenz aus dem Äther: Mit hohen Übertragungsraten und maßgeschneiderten Inhalten will der Satellitenbetreiber Astra in naher Zukunft Millionen Betriebe und Haushalte in ganz Europa erreichen.

Von: Nikolaus Ebbinghaus

Geht es um die Werbung neuer Mitglieder, dann scheuen manche Vermarkter von Onlinediensten auch vor Peinlichkeiten nicht zurück: "T-Online ist wirklich nichts für schwache Nerven", heißt es beispielsweise in einer Broschüre, welche die hohen Transferraten im größten deutschen Onlinedienst anpreist. Wer bereits Erfahrungen im Internet gesammelt hat, kann solche Aussagen in der Tat bestätigen, wenn auch nicht ganz im Sinne der Werbetexter. Denn nach wie vor kann beim Internet von einem Daten- oder gar Multimedia-Highway keine Rede sein. Wer beispielsweise großformatige Grafiken, umfangreiche Programme oder gar Videos aus dem Netz auf die Festplatte laden will, braucht zweifellos eine Menge Geduld und ein starkes Nervenkostüm. Selbst ein vergleichsweise schneller ISDN-Anschluß vermag an dieser bitteren Realität nicht allzuviel zu ändern.

Die Société Européenne des Satellites (SES), Betreiberin des Astra-Satellitensystems, bemüht sich nun, aus der "Trägheit" des Internet Kapital zu schlagen: Über den Datendienst Astra-Net http://www.astra-net.com sollen Multimediainhalte via Satellit mit einer Geschwindigkeit von 6 MBit/s auf PCs übertragen werden, bei High-End-Servern sollen sogar Übertragungsraten von bis zu 38 MBit/s möglich sein. Die Vorteile für den Anwender liegen auf der Hand: Im Vergleich zu einer ISDN-Verbindung (X.75 mit 64 kBit/s) verkürzt sich der Empfang einer Datei mit einem Umfang von 10 MByte bei 6 MBit/s von 22 Minuten auf ganze 14 Sekunden. Ein Highspeed-Modem (V.34, 28,8 kBit/s) würde für solch einen Download sogar 48 Minuten benötigen.

Betrieben wird Astra-Net von der im März 1997 gegründeten European Satellite Multimedia Services S.A. (ESM), an der neben SES auch Intel, die Deutsche Telekom, Hughes Network Systems und die Luxembourg Telecom beteiligt sind. Das Unternehmen mit Sitz im luxemburgischen Betzdorf will seine Dienste zunächst Unternehmen anbieten. Vorteilhafte Anwendungen sind insbesondere dort denkbar, wo zahlreiche Betriebsstätten zentral mit umfangreichen Informationen versorgt werden müssen (Punkt-zu-Multipunkt-Kommunikation). So könnten etwa Einzelhandelsketten, Mineralölgesellschaften und Automobilkonzerne ihre Filialen zeitgleich mit aktuellen Katalogen, Händlermitteilungen und Repräsentationsvideos versorgen. Auch Fortbildungsmaterial ließe sich durch Astra-Net schnell und kostengünstig verteilen, so daß sich etwa Reise-, Hotel- und Lohnkosten einsparen ließen. Im wesentlichen entspricht diese Anwendungspalette der des d-Box-Network der zur Kirch-Gruppe gehörenden Beta Digital GmbH. Nur werden die Inhalte eben nicht mittels Set-Top-Box, sondern mit einem PC empfangen [1].

Als neutrales Netzwerk-Verwaltungs-Zentrum nimmt ESM dabei keinerlei Einfluß auf die zu übertragenden Inhalte. Vielmehr beschränkt sich das Unternehmen darauf, Service- und Content-Providern eine Komplettlösung für das Verteilen ihrer Multimediainhalte anzubieten:

ESM empfängt über ISDN, Standleitungen oder per Satellit Daten von Service-Providern, um sie für eine Übertragung weiterzuverarbeiten und zwischenzuspeichern. Auch physische Datenträger wie Video- und Audiobänder, CD-ROM oder DVD lassen sich verarbeiten. Zur Übertragung werden Uplink- und Transponderkapazitäten zur Verfügung gestellt. Die Verwaltung der Teilnehmer kann vom Service-Provider in eigener Regie geführt, oder aber an ESM delegiert werden. Eine eigene Subscriber-Management-Software ermöglicht die Verwaltung von Teilnahmeberechtigungen, die Abrechnung von Gebühren sowie das Führen von Statistiken über das Kundenverhalten.

Langfristig strebt ESM aber auch die Versorgung privater Haushalte mit attraktiven Multimedia-Angeboten an. Zu diesem Zweck wurde Ende April eine strategische Allianz mit der im schweizerischen Zug ansässigen "The Fantastic Corporation" (TFC) eingegangen. Diese erst im Februar 1996 gegründete Gesellschaft entwickelte ein Media-Distribution-System zur Einspeisung von Multimediainhalten in Satelliten- und Kabelsysteme sowie die PC-Software, die den DVB-Empfang auf den PC ermöglicht. Mit dem Ziel, den TV-Zuschauern Informationsdienste anzubieten, welche denen des Internet überlegen sind, hat TFC auch schon mit mehreren namhaften Content-Providern Rahmenabkommen abgeschlossen (siehe Kasten).

Die Erfolgsaussichten des gemeinsamen Vorhabens erscheinen denkbar günstig: Als weltweit größter Direct-to-home-Satellitenbetreiber versorgt SES derzeit rund 23 Millionen Haushalte und Betriebe in ganz Europa mit Astra-Programmen. SES erwartet in den nächsten zehn Jahren eine Zunahme auf 40 Millionen Teilnehmer; etwa 80 Prozent von ihnen sollen dann über digitale Empfangsgeräte verfügen. Ein weiteres großes Marktreservoir stellen darüber hinaus die derzeit rund 44 Millionen Kabelhaushalte in Europa dar, die ebenfalls über Astra mit Programmen verorgt werden. Gleichzeitig nimmt auch der Bestand an Personalcomputern beständig zu, so daß der Bedarf an multimedialen Inhalten kontinuierlich wachsen dürfte. Derzeit sind in Europa rund 48 Millionen PCs installiert, jährlich werden etwa 16 Millionen Neugeräte verkauft. Einer Prognose von Dataquest zufolge soll der PC-Absatz bis zum Jahr 2000 auf 27 Millionen ansteigen.