Qualität durch Fehlertoleranz

Häufig führen kurzzeitige Lastspitzen und Router-Ausfälle zu Verbindungsproblemen. Prof. Dr. Cornelis Hoogendoorn, Leiter des Projekts "Komponenten für das Internet der nächsten Generation" (King), erläutert, wie Carrier mit Multipath-Routing und lokaler Fehlererkennung Netze wirtschaftlich administrieren und hochwertige Dienste anbieten können.

Von: Dr. Thomas Hafen

NetworkWorld: Im Projekt "Komponenten für das Internet der nächsten Generation" (King) entwickeln Sie Lösungen, die Auslastung und Service in öffentlichen IP-Netzen optimieren helfen. Haben solche Ideen derzeit überhaupt eine Relevanz? Schließlich sind die Carrier eher von Überkapazitäten als von Bandbreitenmangel geplagt.

Cornelis Hoogendoorn: Im Rahmen von King beschäftigen wir uns in erster Linie mit anspruchsvollen Echtzeitservices. Das sind zum Beispiel interaktive Videoübertragung oder Sprache. Wir gehen davon aus, dass der Bedarf für derartige Dienste in den nächsten fünf Jahren beachtlich steigen wird. Lastspitzen oder Datenstau dürfen die Qualität dieser Angebote nicht beeinflussen.

NetworkWorld: Mit welchen Methoden will King verhindern, dass diese Probleme auftreten?

Hoogendoorn: Da ist zunächst einmal unser Konzept des "Multipath-Routing". Es soll die Fehlertoleranz verbessern. In den heutigen öffentlichen Netzen handeln Router einen kürzesten Weg zwischen Sender und Empfänger aus. Wenn dieser Link ausfällt, wird erst einmal ein Protokoll aktiviert und ein neuer Pfad gesucht. Dies kann 30 bis 40 Sekunden dauern. Sind mehrere Netze betroffen, kann die Ausfallzeit noch viel länger sein.

NetworkWorld: Welche Auswirkungen hat eine solche Störung auf die angebotenen Dienste?

Hoogendoorn: Sie hat fatale Folgen. Statistiken zeigen: Ist ein Telefongespräch nur kurz unterbrochen, legen die Gesprächsteilnehmer auf.

NetworkWorld: Welche Ausfallzeit ist gerade noch tragbar?

Hoogendoorn: Unserer Ansicht nach darf eine Verbindung im schlimmsten Fall für ein paar Hundert Millisekunden unterbrochen sein.

NetworkWorld: Wie minimiert King solche Ausfälle?

Hoogendoorn: Wir haben Methoden entwickelt, die nicht nur die Reaktionszeit auf Fehler verkürzen. Genauso wichtig ist die schnelle lokale Fehlererkennung. Eine Reaktion kann ja überhaupt erst erfolgen, wenn die Störung entdeckt ist.

NetworkWorld: Wie schnell ist diese Methode?

Hoogendoorn: Im Idealfall erfolgt sie im Millisekundenbereich. Wir schicken dazu sehr schnell Meldungen zwischen zwei lokalen Routern hin und her. Die Fehlererkennung funktioniert ähnlich wie beim Ausfall eines Routers, nur dass die heutigen Protokolle viel zu langsam dafür sind.

NetworkWorld: Reicht denn eine schnelle Fehlererkennung?

Hoogendoorn: Nein, das ist nur der eine Teil der Lösung. Im heutigen Internet bleibt im Störungsfall nichts anderes übrig, als einen Routingprozess anzustoßen und eine Alternative zu finden. Das dauert lange. Unsere Idee ist eine andere: In einem King-Netzwerk existieren mehrere vermaschte Pfade von der Quelle bis zum Ziel. Jeder Router kennt mindestens zwei nächste Hops, die zum Ziel führen. Im Normalfall nimmt er die Verkehrsteilung über diesen Link vor. Sollte ein Router jedoch feststellen, dass ein Pfad nicht funktioniert, kann er die verbliebene Alternative zum Transport des Verkehrs nutzen.

NetworkWorld: Gibt es weitere Vorteile dieses Konzepts?

Hoogendoorn: Ja, es ist wesentlich wirtschaftlicher als die übliche Vorgehensweise. Wenn ein Carrier heute Quality of Service anbieten will, kann er sein Netz so überdimensionieren, dass unter gar keinen Umständen ein Engpass auftritt. Das wird bei den immer noch hohen Wachstumsraten schnell enorme Investitionen nach sich ziehen.

NetworkWorld: Ist MPLS nicht eine Lösung dieses Problems?

Hoogendoorn: Sicher gibt es die Möglichkeit, mit MPLS voreingestellte oder dynamische Pfade einzurichten. Das Problem ist aber die Skalierbarkeit. Wenn Sie ein verbindungsloses Netz mitPfaden überlagern, brauchen Sie einen Kanal von jedem Endpunkt zum anderen. Das Prob-lem skaliert also mit n2.

NetworkWorld: Und wie verhält sich ihr Konzept, wenn ein Carrier weitere Knoten anschließen will?

Hoogendoorn: Wenn ich beim verbindungslosen Paradigma des Internets bleibe, dann skaliert die Anforderung nur mit n. Natürlich muss der Betreiber auch dieses Netz administrieren. Wir haben für diese Aufgabe den "Network Control Server" entwickelt. Er beobachtet das Netz, vergleicht die Ergebnisse mit einem Modell der Verkehrsströme und registriert, wenn Veränderungen auftreten. Anhand der neuen Verhältnisse ändert er in den Routern Parameter, zum Beispiel die Verkehrsverteilung.

NetworkWorld: Was passiert aber, wenn die Kapazität des Netzes erschöpft ist?

Hoogendoorn: Wenn ich Quality of Service garantieren will, brauche ich immer eine Zugangskontrolle. In unserem Fall übernehmen das im Edge Router oder Zusatzgeräte. Der Network Control Server verwaltet die Budgets.

NetworkWorld: Wird die zunehmende Aufteilung in Serviceklassen nicht zu Lasten von Best-Ef-fort-Verkehr wie E-Mail-Versand oder Internetzugang gehen?

Hoogendoorn: Das glaube ich nicht. Die Zugangskontrollen sorgen dafür, dass der Premiumverkehr im Mittel nur einen gewissen Teil des Netzes auslastet. Beim Best Effort kommt es höchstens in Spitzenzeiten zu kurzen Verzögerungen. Auf jeden Fall gilt: Wer nicht wenigs-tens 50 Prozent der durchschnittlichen Kapazität für Best Effort freihält, hat sein Netz hoffnungslos unterdimensioniert.