Prozesse bestimmen das Business

IT-Manager messen die Qualität ihres Netzwerks allein daran, ob die Geschäftsprozesse ihres Unternehmens reibungslos ablaufen, sagt Kai Grunwitz, Manager Business Development der Netix System Consulting GmbH. Im Gespräch mit NetworkWorld erklärt er, wie eine prozessorientierte Netzverwaltung funktioniert.

Von: Dr. Klaus Plessner

NetworkWorld: Wie managen Unternehmen ihre Services so, dass ihre Geschäftsprozesse zuverlässig und nach den Vorgaben von Service-Level-Verträgen ablaufen?

Kai Grunwitz: Zunächst müssen die für das Unternehmen kritischen Prozesse sauber identifiziert werden, um diese anschließend mit den unterstützenden IT-Services zu verbinden. Die Abbildung der Geschäftsabläufe auf die dafür verantwortlichen System- und Netzkomponenten bildet die Basis für eine Überwachung von Service Levels.

NetworkWorld: Was passiert ohne diese Abbildung?

Grunwitz: Das was vielen Unternehmen passiert, die ihre Service-Level-Verträge aus dem Bauch heraus definieren. Sie erkennen zu spät, dass sie ihre Performancegarantien und Verfügbarkeitsversprechungen gegenüber den Kunden nicht einhalten können. Weil sie ihre Service Level Agreements nicht unter Berücksichtigung der Möglichkeiten ihres IT-Strukturen konzipieren, machen sie zum Teil unrealistische und zum Teil schwer einzuhaltende Zusagen.

NetworkWorld: Ein Beispiel?

Grunwitz: Denken Sie an ein Unternehmen, dass für seine E-Mail-Services eine Verfügbarkeit von 99,99 Prozent fordert. Die Vorgabe ist sinnlos, wenn nicht vorher festlegt wird, was zum E-Mail-Dienst gehört.

NetworkWorld: Muss das Service-Level-Management alle Geschäftsprozesse mit einbinden?

Grunwitz: In der Regel nicht. Beim Service-Level-Management kommt es in erster Linie auf die kritischen Abläufe an. Jeder überwachte Vorgang erhöht die Komplexität des Kontrollsystems. Deshalb sollten weniger wichtige Prozesse im Servicemanagement zunächst unberücksichtigt bleiben oder in einer zweiten Phase eingebunden werden.

NetworkWorld: Wie viele Geschäftsprozesse werden in der Praxis berücksichtigt, können Sie eine Hausnummer nennen?

Grunwitz: Nein. Fest steht nur: Je mehr Ketten vorhanden sind, desto mehr Abhängigkeiten bestehen und desto komplizierter wird das Kontrollsystem. Ich kenne Anwender, die zehn Services überwachen und andere wiederum, die 50 und mehr kritische Services kontrollieren.

NetworkWorld: Wer entscheidet, welche Prozesse wichtig sind und wie sie auf IT-Ketten abgebildet werden?

Grunwitz: Die Definition der Geschäftsprozesse ist Sache der Line of Business, während die IT-Abteilung die Vorgänge auf IT-Prozesse abbildet. Das Problem dabei ist, dass diese Gesprächspartner oftmals völlig verschiedene Sprachen sprechen. Achtet das Management nur auf die Verfügbarkeit eines Services, interessiert sich die IT-Abteilung für die Technik, die dahinter steht. Dazu kommt noch der Kunde, der die Prozesse aus seiner Sicht einordnen muss.

NetworkWorld: Was raten Sie den Unternehmen, damit sie in dieser schwierigen Diskussion dennoch schnell zum Ziel gelangen?

Grunwitz: Sie sollten mit internen Gremien arbeiten, an denen sich verschiedene Fachbereiche beteiligen. In vielen Fällen empfiehlt sich ein externer Coach, der die Situation frei von politischen Vorurteilen beurteilen kann. Gut ist auch ein sukzessives Vorgehen. Lieber einige schnelle Erfolge als gigantische Projekte, die bald zu Frustrationen führen und dann scheitern, da die Erfolge ausbleiben.

NetworkWorld: Für die Darstellung der Geschäftsprozesse und der damit verbundenen IT-Komponenten verwenden Sie eine Art Baumstruktur.

Grunwitz: Ich erkläre das anhand eines vereinfachten Beispiels. (siehe Grafik, Anmerkung der Redaktion) Die zentralen Komponenten des Geschäftsprozesses E-Mail sind der Mailserver, das Netzwerk und Basisdienste des Netzwerks. Diese bilden die erste Verzweigungsebene des Servicebaums. Dass alle drei für den Dienst erforderlich sind, markiert eine logische Und-Verknüpfung. In der zweiten Ebene teilt sich der Mail-Server-Ast in zwei Äste für die interne und die externe E-Mail auf, während die Netzwerk-Linie sich in LAN und Firewall aufteilt. Erst in der jeweils höchsten Verzweigungsebene stehen messbare IT Parameter, die die Verfügbarkeit oder auch Performance der darunter liegenden Komponenten bestimmen.

NetworkWorld: Was bedeuten Oder-Verknüpfungen?

Grunwitz: Diese bestehen zum Beispiel zwischen redundanten Komponenten wie einem Router oder einem gespiegelten DNS-Server.

NetworkWorld: Kann das Diagramm Schwachstellen aufdecken?

Grunwitz: Durch die vollständige Identifikation der service-relevanten Komponenten wird zum Beispiel schnell ersichtlich, wo Single Points of Failure bestehen. Man sieht sie im Diagramm an den Stellen, wo ausfallgefährdete Komponenten nicht durch eine Oder-Verknüfung mit einem Backup-System verbunden sind.

NetworkWorld: Wie gehen Unternehmen vor, die eine bereits bestehende Serviceinfrastruktur nachträglich analysieren?

Grunwitz: Das ist der Normalfall. Meistens bestehen sogar schon Service-Level-Verträge. Den Servicemanagern bleibt in diesem Fall zunächst nur eine Ist-Analyse und der Entwurf einer Überwachungslösung. Erst nach und nach können sie das System in einem iterativen Prozess von seinen Schwachstellen befreien. Unterstützend hierfür empfiehlt sich die Einführung eines Service-Improvement-Programms nach ITIL (Information Technology Infrastructure Library, Anmerkung der Redaktion) zur kontinuierlichen Verbesserung der Service Qualität.

NetworkWorld: Welche Hürden müssen sie dabei nehmen?

Grunwitz: Schon die Ist-Analyse stellt manche Unternehmen vor eine große Herausforderung. Denn sie verfügen über historisch gewachsene Strukturen. Um sich über die Bestände und Abhängigkeiten zu informieren, müssen Projektmanager in der Regel mit vielen Abteilungen zusammenarbeiten, und selbst dabei ist es nicht immer einfach an alle benötigten Daten zu kommen.

NetworkWorld: Und wenn ein Unternehmen auf der grünen Wiese entsteht?

Grunwitz: Dann hätte man den klassischen Idealzustand. Man könnte die IT-Infrastruktur nach den Geschäftsprozessen ausrichten und gleich eine serviceorientierte IT etablieren. Eine schöne Vorstellung, die in der Praxis allerdings nur selten vorkommen wird.