Per Voice-over-IP zum persönlichen Berater

Viele Gründe sprechen dafür, den Internet-Auftritt und die Funktionen eines Call Centers als Einheit innerhalb der Unternehmenskommunikation zu organisieren. Doch um die Homepage im World Wide Web mit der Inbound- und Outbound-Telefonie eines Customer-Care-Services zu verschmelzen, bedarf es einer gleichermaßen flexiblen und zukunftsfähigen Architektur.

Von: Eckhard Rahlenbeck

Viele Chancen bleiben ungenutzt, weil surfenden Kunden und Interessenten am entscheidenden Punkt ein ansprechbarer Berater fehlt. Kapazitäten liegen brach, nur weil Call-Center-Agents Kundenanliegen ausschließlich im direkten Sprachdialog abarbeiten können, während die nächsten Anfragenden in einer Warteschleife verharren müssen. Hier drängt sich die Einbindung des World Wide Web förmlich auf. Die Live-Beratung von Person zu Person ist zu kostbar, um nicht in eine WWW-Umgebung integriert zu werden. Vieles kann eine Website in Wort und Bild effizienter und kostengünstiger erläutern. Das entlastet das Call-CenterPersonal und schafft höhere Kontaktzahlen. Der Abruf von Inhalten auf einem Internet-Server und das Angebot eines Dialogs mit einem Agent gehören zusammen.

Die Grundvoraussetzung, damit ein Web-Surfer per Mausklick mit einem Kundenberater sprechen kann, lautet, Sprach- und Datenverkehr gleichermaßen auf einer einheitlichen Netzwerkstruktur zu realisieren. Die eingesetzten Lösungen müssen zukunftsfähig und für veränderbare Systemumgebungen, auch für die Integration von Drittanbieter-Middleware, offen sein. Proprietäre Fertigprodukte sind da ungeeignet.

Dementsprechend fordern die Analysten der Gartner Group eine neue Technik-Generation. Ihr Fazit: "Hersteller sind im Begriff, sich von der herkömmlichen Art einer monolithischen, proprietären Nebenstellentechnik wie PBX zu Client/ Server-Architekturen zu bewegen. Diese ziehen größeren Nutzen aus den Standard-IT-Plattformen, Betriebssystemen und Protokollen." Alcatel kann eine gute Sprachqualität bei einer Bandbreite von 6,4 Kilobit pro Sekunde garantieren. Dabei sind die beim IP-Routing typischen Verlustraten zu beachten. Bis zu 15 Prozent der IP-Sprachdatenpäckchen könnten auf dem Weg zum Gesprächspartner verloren gehen, mehr nicht, meint Arthur Würfel von Alcatel: "Bei 85 Prozent Übertragungssicherheit haben wir eine gerade noch ausreichende Sprachqualität wie beim Handy."

Ein Web-fähiges Call Center (CC) ist immer während der Nutzung einer Firmen-Homepage anwählbar. Die Verbindung zur direkten persönlichen Beratung wird durch Anklicken eines besonderen Call-me-Buttons aufgebaut. Zunächst lädt sich ein Java-Applet, das den Nutzer über den aktuellen Call-Status informiert, zum Beispiel die voraussichtliche Wartezeit anzeigt oder bei unzureichender Netzqualität unter Umständen sogar vom Sprachdialog abrät. Im Wartestatus surft der Nutzer entweder weiter, oder alternativ könnten ihm verschiedene Screens beispielsweise mit Infos oder Werbebotschaften auf seinen Bildschirm geladen werden.

Als einfachste Form einer Web-Verständigung von Mensch zu Mensch ist zunächst der aus den Chat-Foren bekannte Realtime-Dialog auf Textbasis verfügbar. Dieser Chat gilt auch als Fallback-Lösung, falls Voice-over-IP (VoIP), also die Internet-Telefonie, gerade nicht möglich sein sollte. Andererseits kann Textchat auch den mündlichen Dialog gut ergänzen, wenn es zum Beispiel um die Übermittlung von Kreditkarten-Nummern oder die Schreibweise von Namen geht. In Sachen Sprachtelefonie mit einem Web-fähigen CC sind je nach Austattung des Nutzers grundsätzlich drei Formen zu unterscheiden. Das beginnt mit der Online-Bestellung eines Rückrufs, ohne Möglichkeit der parallelen Web-Nutzung, zu einer gewünschten Zeit. Der Rufwunsch wird über eine Eingabemaske als HTML-Formular angemeldet. Falls jedoch der Nutzer einen ISDN-Anschluss oder eine zweite Telefonleitung hat, kann er zeitgleich während des Surfens auf dem freien Kanal mit dem Agent sprechen. Hier gibt es keine Qualitätsprobleme. Nachteilig sind die höheren Kommunikationskosten, welche schließlich bei der dritten Variante, der reinen Internet-Telefonie, im Rahmen der niedrigen Surf-Tarife liegen.

Um Sprache als gewöhnliche Datenpakete gemäß IP austauschen zu können, müssen beide Gesprächspartner die gleiche VoIP-Anwendung einsetzen. Hier behauptet sich als Quasi-Standard H.323, welcher auch von der Dialogsoftware "Netmeeting" im Explorer oder von Netscape verwendet wird.

Die Kernfunktion eines Web-enabled Call Centers besteht aus der Zusammenführung aller für den jeweiligen Kommunikationsvorgang notwendigen Medien und Inhalte. Der Agent sieht dabei die Internet-Seite, von der der Nutzer seine Rufanfrage gestartet hat. Zudem hat er die Möglichkeit, vorher angeklickteSeiten aus dieser Session Revue passieren zu lassen. Er wird in der Lage sein, Kunden zu gewünschten Zielseiten zu führen oder wichtige Seiten direkt zu übermitteln. Währenddessen besteht die Sprach- oder Dialogverbindung weiter.

Der komplexe Vorgang der Zusammenführung unterschiedlicher Medien wie Sprache per VoIP, Textchat und Internet-Seiten wird Media Blending genannt. Zusätzlich muss der Agent die relevanten kundenbezogenen Daten wie etwa die Kundendatei oder die Kundenhistorie im Zugriff haben. Die Stärke Web-fähiger CC-Lösungen erweist sich darin, wie flexibel das Routing, also die Verteil- und Vermittlungsfunktionen, mit den Funktionen der Zusammenführung unterschiedlichster Medien und Datenbestände eine leistungsfähige Einheit bilden. Server und Router haben Anwendungen und individuelle Anforderungen zu erkennen, Bandbreiten und Durchssatzgarantien zu erfüllen. Sie sollten künftig verstärkt zeitkritische Datenströme filtern und priorisieren können, und haben bestehende Netzwerk-Management-Systeme, Netzwerk-Typologien und bestehende TK-Standards zu unterstützen. Der Web-Server routet die VoIP-Anrufe genauso wie traditionelle Telefonate durch ein Unternehmensnetz. Mehrfache Firewalls sorgen für die Datensicherheit.

Wie in bisherigen CC-Architekturen sind die Anwendungen der automatischen Anruferidentifikation und -weiterleitung (ACD) auch im Falle einer Internet-Anbindung einsetzbar. Das heißt, dass beispielsweise ein Kunde, von dem man weiß, dass er nicht Deutsch spricht, nur mit einem Agent verbunden wird, der seine Sprache beherrscht. Agentensoftware, die vor der Aufschaltung zum CC-Platz vom Anrufenden mündlich Routinefragen beantworten lässt, ist sogar in der Lage, von selbst Dialekte zu erkennen. Gleiches gilt für die automatische Identifikation und Auswertung von E-Mails. Die Systeme stellen ständig Auswertungen aller Interaktionen für das CC-Management bereit. Diese zeigen die jeweils aktuelle Auslastung an und können in der Rückschau aus den gemessenen und bewerteten Sessions Nutzungsbilanzen erstellen.

Web-enabled Call Center werden von höheren Bandbreiten, die die Carrier einführen, profitieren. ISDN und xDSL bei den Festnetzen und neue Standards wie GPRS und UMTS im Mobilfunk leben von der Konvergenz der Sprache und Daten. Zwangsläufig können auch TK-Dienstleister nur bestehen, wenn sie einen Link von den öffentlichen Wählvermittlungsnetzen (PSTN) zu den IP-basierten Diensten anbieten. Ian Stevenson, Analyst und Autor des Ovum Reports "Next Generation IP Networks" sagt es ganz deutlich: "Die bestehenden Carrier, besonders in Deutschland, müssen sich lossagen von ihrer konservativen Einstellung zu neuen Sprachdiensten. (sf)

Zur Person

Eckhard Rahlenbeck

ist freier Journalist in Neckartenzlingen