Offene Systeme mit vielen Extras

Spätestens seit IBM sich aktiv an der Entwicklung von Linux beteiligt, kann das offene Betriebssystem als ausgereift gelten. Professionelle Distributionen unterscheiden sich vor allem in der erweiterten Systemunterstützung und beim Support.

Von: Gerd Rimek

Das Torwald-Kind ist erwachsen geworden. Bei fast allen Linux-Distributionen scharen sich um den reinen Betriebssystem-Kern (Kernel) inzwischen zahlreiche Tools und Anwendungsprogramme. Während der Kernel auf ein bis zwei Megabyte Platz findet - die Embedded-Linux-Systeme zeigen das - kommt das Gesamtpaket auf mehreren CDs oder DVDs daher. Vor allem Distributionen für den professionellen Einsatz stehen dem Microsoft-Angebot in nichts mehr nach. Das gilt auch für grafische Bedienoberflächen und Administrationswerkzeuge, bei denen die Fortschritte am deutlichsten ins Auge fallen. Am Kernel wurde ebenfalls erfolgreich weitergearbeitet. Die Version 2.4.x ist besser skalierbar und damit für Netzwerke brauchbarer geworden. Der verbesserte Multiprozessor-Support, eine Speicheradressierung bis zu 64 GByte und ein 64-Bit-Dateisystem bringen Linux in Richtung "Enterprise Computing" weiter voran. Derartige Leistungswerte waren bisher kommerziellen Unix-Varianten vorbehalten. Außerdem erhalten Desktop- und Notebookanwender erweiterte USB-Unterstützung und eine vereinfachte Verwaltung von Hardwarekomponenten inklusive Plug and Play für ISA-Karten und ACPI.

Auch das gemeinsame Channel-Programm von Red Hat und IBM wird Linux weiter voranbringen. Dadurch können "Value Added Reseller" (VAR) ihren Kunden Red Hat Linux-konfigurierte "IBM E-Server X-Series"-Plattformen als E-Business Applikations-Server zur Verfügung stellen.

Während die Distributionen inzwischen alle reichlich mit Extras ausgestattet sind, zeigen sich wesentliche Unterschiede bei den Werkzeugen für das Systemmanagement. Hier hat Caldera mit "Volution" (siehe NWW 09-2001, Seite 34) sicherlich noch einen Vorsprung. Die Web-gestützte Management-Software kann von einer zentralen Konsole aus heterogene Linux-Systeme verwalten. Das Tool stellt Funktionen wie Softwareverteilung, Inventarisierung und Systemüberwachung für das Free-OS bereit.

Auch bei der Hardwareunterstützung fallen die Anbieter auseinander. In letzter Zeit ist Suse auf diesem Feld sehr aktiv geworden. Suse Linux unterstützt jetzt neben Intel- und PowerPC- auch Alpha-Prozessoren sowie Sparc- und S/390-Architekturen. Mit Turbolinux hat sich eine Distributionsfamilie etabliert, die sich vor allem auf professionelle Systemarchitekturen wie HP9000, IBM S/390 oder Z-Series konzentriert, wenngleich wir in der Marktübersicht auch nur eine Version abgedruckt haben. Alle verglichenen Produkte befinden sich komplett als Excel-Datei auf der Website www.networkworld.de/infrastructure.

Hier noch ein Link zur Linux-Distribution von Mandrake - http://www.linuxland.de/katalog/01_linuxdistri_bs/mandrake/002_mandrake8pp/framify -, die aufgrund der späten Antwort auf unseren Fragebogen nicht mehr berücksichtigt werden konnte.

Sorge bereitet der Linux-Gemeinde der Preisverfall beim Boxenverkauf, der die Bilanzen vieler Linuxanbieter stark belastet. Der Konkurs des Start-up-Unternehmens Eazel aus dem Linux-Lager ist sicher erst der Anfang einer Reihe weiterer zu erwartender negativer Meldungen. Wer wie Red Hat von vornherein auf Serviceleistungen gesetzt hat und dort den Bärenanteil des Umsatzes macht, muss sich weniger sorgen. Leider seien das die wenigsten, meinte Dieter Hoffmann, Managing Director Central Europe von Red Hat, in einem Gespräch mit NetworkWorld. Red Hat hat den Dienstleistungen absolute Priorität eingräumt und berät heute große Unternehmen, die mit Linux liebäugeln. Hoffmann kritisiert darüber hinaus die "proprietäre Betriebssystem-Fraktion", darunter Sun, die anders als IBM dem offenen Betriebssystem bei den eigenen Systemarchitekturen nicht mit Änderungen am Kernel entgegenkämen.

Trotz der Schwierigkeiten im Linux-Markt fühlt sich Microsoft durch den Erfolg der offenen Bewegung schon jetzt empfindlich gestört. Mit dem Whitepaper "Linux im Handel - Was jeder Händler wissen sollte" schießt der Windows-Anbieter auf den Wettbewerb von der Basis. Gegen die Angriffe des Microsoft-Whitepapers, die in einem Zehn-Punkte-Katalog zusammengefasst sind, hat sich bereits Suse mit einer Erwiderung zur Wehr gesetzt.

Während Linux im Serverbereich seinen Siegeszug weiter fortsetzt, ist eine schnellere Verbreitung bei Desktops aufgrund der bisher ungenügenden Unterstützung Linux-unerfahrener Endbenutzer noch nicht zu sehen. Trotz der grafischen Benutzerführungen KDE und Gnome fehlt den Linux-Anwendungen immer noch eine konsistente Bedienoberfläche. Daher leben Konsolen- oder X11-Programme munter weiter, die alle ein anderes "Look and Feel" und eine gewöhnungsbedürftige Bedienerführung besitzen.

Ganz anders sieht es bei der Unterstützung der Endanwender mit Software aus. Die Fülle an freier Software, einschließlich eines kostenlosen Office-Paketes, ist umwerfend.

Neuere Versionen von KDE und Gnome zeigen sich bedienungsfreundlicher und intuitiver. In der Linuxszene werden jedoch neuerdings Stimmen laut, die vor allzu schnellen Versionswechseln warnen. Anzeichen von "Bananaware"-Taktiken wären bereits auszumachen (Bananaware bedeutet: Das Produkt reift beim Käufer). Zu früh freigegebene Releases sorgen noch zu oft für Frust beim Endverbraucher, der sich nicht mit Linux-Spezifika herumschlagen kann und will.

Wenn die Entwicklung bei Linux-Distributionen so weitergeht wie bisher, müssten in sechs Monaten wieder neue auf den Markt kommen. Doch sehr viel Revolutionäres dürften sie nicht bieten, nachdem inzwischen auch so gut wie jede Distribution mit Star Office 5.2 aufwartet und KDE mit Version 2 ein hohes Niveau erreicht hat. Zu wünschen wäre ein stärkeres Engagement beim Sicherheits- und Systemmanagement. Bei der Installation von Linux, die zum Teil noch manuelle Partitionierungsarbeit erfordert, haben einige Anbieter noch Nachholbedarf.

Die Marketingschwächen zeigen, dass der Open-Source-Gedanke allein nicht ausreicht. Die virtuellen Entwicklergemeinschaften müssen von kapitalkräftigen Unternehmen wie IBM gestützt werden und gleichzeitig darauf achten, nicht erdrückt zu werden.