ICANN-Konferenz in London

Neuorganisation der Internet-Verwaltung ICANN gestaltet sich mühsam

Internet-Nutzer machen sich im Alltag keine Gedanken über die politischen Grundlagen des Netzes. Dort stehen aber große Veränderungen an: Die US-Regierung gibt die Aufsicht über die Internet-Verwaltung ICANN ab. Wie es weitergeht, ist noch unklar.

In gut einem Jahr beginnt eine neue Ära für das Internet. Zum September 2015 läuft die Aufsicht der US-Regierung über die Internet-Verwaltung ICANN aus. Bis dahin muss ein neues System stehen. Es ist ein zäher Prozess, in dem die Interessen von Internet-Konzernen, Regierungen und der Milliarden Nutzer unter einen Hut gebracht werden müssen. Eine Einigung scheint noch in weiter Ferne.

Die ICANN (Internet Corporation for Assigned Names and Numbers) ist unter anderem für die Vergabe der übergeordneten Domainnamen-Endungen wie ".com" zuständig. Das US-Handelsministerium hatte seit der ICANN-Gründung 1998 die Aufsicht über die Organisation. Schon seit längerer Zeit gab es Forderungen, dies zu ändern. Die US-Regierung kündigte aber erst Mitte März dieses Jahres ihren Rückzug an. Offiziell wurde betont, der NSA-Skandal habe nichts damit zu tun. Hinter vorgehaltener Hand verweisen Insider aber darauf, dass sich die öffentliche Stimmung mit den Enthülllungen von Edward Snowden gedreht habe.

Die ICANN nutzte die vergangenen drei Monate, um eine möglichst breite Diskussion einzuleiten. Die Devise lautet: Alle Beteiligten sollen ins Boot, der Begriff "Multi-Stakeholder"-Ansatz wird gebetsmühlenartig wiederholt. Dafür gab es eine große Konferenz in Brasilien sowie Veranstaltungen unter anderem in Singapur, Berlin und jetzt auch London. Dabei wurde klar: Die Vorstellungen liegen weit auseinander. Und einen gemeinsamen Nenner zu finden, könnte unmöglich sein.

So machte am Montag die chinesische Regierung deutlich, dass sie ihre staatliche Kontrolle über das Internet nicht nur behalten - sondern auch als Regel festschreiben will. Chinesische Internet-Experten plädierten in einer Staatszeitung dafür, dass Regierungen in ihren Grenzen die Hoheit über den Fluss der Daten im Netz haben sollten. Zuletzt waren ähnliche Ansinnen 2012 auch durch massiven Widerstand der Internet-Wirtschaft abgewehrt worden. Und der russische Parlamentsabgeordnete Robert Schlegel beschwerte sich jüngst, der Prozess sei intransparent, und keiner der russischen Vorschläge bei der "Netmundial"-Konferenz in Brasilien sei berücksichtigt worden.

"Wir sollten alle etwas weniger an unsere eigenen Interessen denken und mehr an das Internet", sagt ICANN-Chef Fadi Chehadé, dem eine Führungsrolle bei den Verhandlungen zufällt. "Es gibt eine Menge Beteiligter mit unterschiedlichen Interessen", räumt sein Mitarbeiter Jean-Jacques Sahel ein, der für mehr Stimmenvielfalt sorgen soll. "Ich hoffe, wir können sie alle zusammenbringen - weil wir es schaffen müssen."

Es sei zugleich wichtig, anzuerkennen, dass verschiedenen Akteuren unterschiedliche Rollen zufielen - etwa Regierungen die Aufsicht über die Einhaltung von Gesetzen und der Internet-Wirtschaft die Gewährleistung der technischen Infrastruktur. Für die Gesellschaft sei es eine Chance, gehört zu werden, sagt Sahel. Aber wie schafft man es, dass Regierungen und milliardenschwere Internet-Konzerne den Prozess nicht gegen eine zersplitterte Netz-Gemeinde dominieren?

Und was passiert, wenn kein Konsens aller Seiten möglich ist? Wo zieht man den Strich, ab dem die Diskussionen aufhören müssen? "Es kann passieren, dass es am Ende keine zusätzlichen Kontroll-Mechanismen zusätzlich zu denen geben wird, die die ICANN heute schon hat", sagt Sahel. Vielleicht komme man dann auch ohne aus - von der Aufsichtsrolle der US-Regierung habe man schließlich auch nichts bemerkt. (dpa/tc/hal)