Kanban erobert die IT-Branche

Nach Scrum kommt nun Kanban

Wenn erwachsene Menschen Kärtchen mit Strichmännchen oder Smilies verzieren und an Wandtafeln befestigen, ist häufig Kanban im Spiel. Das aus der japanischen Automobilindustrie stammende Vorgehensmodell zieht längst auch in IT-Operations und Softwareentwicklung ein.

Gegen Ende des Jahres 2010 machte sich Eric-Jan Kaak, damals Leiter Controlling und IT beim österreichischen Skihersteller Blizzard, ein paar grundsätzliche Gedanken: Die Fertigungsprozesse des zum italienischen Tecnica-Konzern gehörenden Sportartikelherstellers funktionierten beinahe wie am Schnürchen. Wieso war das in der IT eigentlich anders? An den Systemen konnte es kaum liegen. Die waren seit der jüngsten ERP-Einführung auf dem aktuellen Stand der Technik. Also musste etwas in den Abläufen haken.

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Die damals fünfköpfige IT-Truppe - zwei Entwickler, zwei Operations-Spezialisten und ein "Zwitter" - wurde jeden Tag mit 20 bis 40 Requests bombardiert, die sie alle sofort bearbeiten sollten, um ihre internen Kunden zufriedenzustellen. Deshalb ließ sich vieles von dem, was begonnen wurde, nie beenden. Kaaks Fazit: Die Flut der Anforderungen, die da ständig über die IT hereinbrach, war mit den althergebrachten Verfahren kaum zu bewältigen.

Also schaute sich der IT- und Controlling-Spezialist die Fertigungsprozesse einmal genauer an. Am Standort Mittersill hatte Blizzard gerade die Prinzipien der möglichst verschwendungsfreien und aus sich selbst lernenden "Lean Production" umzusetzen begonnen. Diese Prinzipien müssten sich doch auf die Arbeit des IT-Bereichs übertragen lassen, fand der heutige CIO für die Unternehmensgruppe, zu der unter anderem die Marken Nordica und Lowa gehören.

Die Puzzle-Steine fallen zusammen

Ostern 2011 fand Kaak Muße, das kurz zuvor erschienene Standardwerk von David Anderson ("Evolutionäres Change-Management für IT-Organisationen") zu lesen. "Da fügten sich die Puzzle-Steine plötzlich zu einem Bild zusammen", erinnert er sich. Die Lösung war, nicht mehr alles gleichzeitig anzufangen, sondern zu selektieren, zu priorisieren und dann möglichst unterbrechungsfrei Aufgaben sequenziell abzuarbeiten ("One Piece Flow").

Am Anfang des Vorgehensmodells musste also eine strenge Auswahl der zu erledigenden Aufgaben stehen: Hat das einen Wert für das Gesamtunternehmen? Ist das überhaupt ein IT-Job oder doch eher eine Business-Aufgabe? Welche Tasks sollen in welcher Reihenfolge bearbeitet werden? Welche sind so wichtig, dass sie an den anderen vorbeiziehen dürfen?

Das Visitenkarten-Spiel

Bei der Bestandsaufnahme des IT-Teams stellte sich heraus: Um alle offenen Punkte abzuschließen, würde jeder Mitarbeiter etwa einen Monat benötigen. Aber während dieser 30 Tage risse der Strom der Aufgaben ja nicht ab, sondern würde sich weiter anstauen.

Dass die parallele Bearbeitung mehrerer Aufgaben das Problem noch verschlimmerte, belegte Kaak, indem er seine Mitarbeiter eine Simulation durchspielen ließ. Das "Projekt" war die Beschriftung von Visitenkarten. Im ersten Durchgang sollten alle Karten gleichzeitig geschrieben werden, um jedem "Kunden" das Gefühl zu geben, er werde ohne Verzug bedient. Jede Karte bekam immer nur einen weiteren Buchstaben - schön reihum, bis alle Namen vollständig waren. Im zweiten Durchgang ließ der CIO die Karten nacheinander vollständig beschriften. Das Ergebnis ist leicht prognostizierbar: Wer häufig den Arbeitskontext wechselt, braucht immer wieder "geistige Rüstzeiten", während derer er nicht produktiv ist. Wer aber eine Aufgabe abschließt, bevor er eine andere beginnt, spart nicht nur Nerven, sondern auch Zeit - zwischen 20 und 50 Prozent, wie Kaak festgestellt hat.