Multimediagesetz in Gefahr

Auf Internet-Service-Provider sowie Dienstleister rund um Web- und OnlineDienste rollt eine neue Regelungswelle zu. Im Rahmen der Frankfurter -"Internet World Spring 98" warnte der Unternehmensverband Electronic Commerce Forum (Eco) eindringlich vor einem drohenden Massensterben -in der Branche.

Von: Konrad Buck

Felix Somm trifft die Rolle des Watschenmanns. Stellvertretend für alle Online-Anbieter mußte sich der Exmanager von Compuserve im Mai vor dem Amtsgericht München für die Verbreitung von Kinder- und Gewaltpornographie im Internet verantworten - und wurde zum Erschrecken der hiesigen On-line-Bosse zu zwei Jahren Haft auf Bewährung sowie einer Geldstrafe von 100 000 Mark verurteilt Die Branche daraufhin unisono: Damit wird Deutschland vom Internet abgenabelt. Das Verfahren (Somm wird in Berufung gehen) spiegelt eine vertrackte Situation wider: Zum einen will der Gesetztgeber seiner Aufsichtspflicht gerecht werden, zum anderen ist eine "Netiquette" im Internet nicht erzwingbar. Wenn Richter und Behörden jetzt die geltenden Gesetze in vorauseilendem Gehorsam überinterpretieren, so Eco-Verbandssprecher Harald Summa in Frankfurt, "drehen sie dem zarten Pflänzchen Internet-Wirtschaft schlicht die Luft ab!"

Das Informations- und Kommunikationsdienste-Gesetz (IuKDG), im Sommer 1997 als Übereinkunft zwischen der Internet-Wirtschaft und der Bundesregierung verabschiedet, droht zu scheitern. In der Erklärung des Eco-Verbandes heißt es, das sogenannte "Multimedia-Gesetz" werde von Staatsanwälten, Staatsschützern und Trittbrettfahrern des Jugendschutzes schrittweise umgedeutet, in Zweifel gezogen oder durch neue Gesetzgebungsvorhaben entwertet. Wenn die Bundesregierung derartigen Entwicklungen nicht Einhalt gebiete, warnte Michael Schneider, Vorstandsvorsitzender des Electronic Commerce Forum, werde auch die Wirtschaft die im letzten Jahr getroffenen Vereinbarungen aufkündigen. Deutschland werde damit zum Internet-Entwicklungsland.

Rahmenbedingungen für das Informationszeitalter

In der im Mai in Frankfurt am Main präsentierten Stellungnahme wird zunächst das Zustandekommen der gegenwärtigen Gesetzeslage dargestellt. Im Sommer 1997 sei nach "langem Ringen" das IuKDG zustandegekommen. Es sollte die Rahmenbedingungen für das Informationszeitalter schaffen, Rechtssicherheit herstellen und die kontraproduktive Diskussion um die Verantwortlichkeit der Provider für Inhalte Dritter beenden. Die Branche verpflichtete sich im Gegenzug, das ihr Mögliche beizutragen, um einem Mißbrauch ihrer Dienste entgegenzuwirken. Das Einvernehmen sieht Schneider nun gefährdet, weil "Staatsanwälte und das Bundesinnen-ministerium offen zu erkennen geben, den Willen des Multimedia-Gesetzgebers zu ignorieren."

So habe die Bundesanwaltschaft in ihrer jüngst vorgelegten Abschlußverfügung zum "Radikal"-Verfahren erklärt, Provider auch künftig für Internet-Inhalte im Ausland verantwortlich machen zu wollen. In der Verfügung heißt es, der Gesetzentwurf der Bundesregierung gehe zwar davon aus, daß die strafrechtliche Verantwortlichkeit der Provider im IuKDG abschließend geregelt worden sei. Diese Auffassung habe jedoch "im Wortlaut der Gesetz gewordenen Vorschrift keine Stütze" gefunden. Nach der beabsichtigten neuen Lesart, so Schneider, seien die Provider verpflichtet, Internet-Verkehr zu filtern und zur Vorbereitung von Sperren im Web Zwangs-Proxy-Server einzurichten. Wer dieser Aufforderung nicht folge, könne sich - daran lasse die Bundesanwaltschaft keinen Zweifel - weiterhin auf strafrechtliche Verfolgung einrichten.

Der Staat hört mit

Auch das Bundesinnen-ministerium (BMI) untergrabe den Konsens des vergangenen Sommers. Kanthers Staatsschützer sollen bereits an einer Änderung des Teledienste-Datenschutzgesetzes arbeiten, das der Bundestag als Bestandteil des IuKDG verabschiedete. So wolle man die Branche einer gesetzlichen Auskunftsverpflichtung unterwerfen und das Datenschutzgesetz entsprechend aufweichen.

Weitere Verpflichtungen möchte das BMI mit einer novellierten "Telekommunikations-Überwachungsverordnung" durch die Hintertür einführen. Aus der Begründung zu der Verordnung, die sich ursprünglich an die Carrier richtete, ergebe sich eindeutig, daß die Internet-Wirtschaft demnächst auf eigene Kosten an der Überwachung ihrer Kunden mitwirken soll. Wenn sich Kanther nicht eines Besseren besinne, würden Provider künftig kostenaufwendige Abhörschnittstellen und spezielle Kundendatenbanken installieren müssen, die staatlichen Stellen jederzeit den Zugriff ermöglichen.

Das Einrichten und Warten solcher Lauschschnittstellen könnte die Betreiber mehr als 100 000 Mark pro Jahr kosten, was laut Michael Schneider nicht nur unverhältnismäßig, sondern auch verfassungswidrig wäre. Daß auch das kontrovers diskutierte und im Ergebnis sinnlose Kryptographieverbot im BMI noch nicht völlig ad acta gelegt ist, folgert Schneider, "bedarf da kaum noch einer Erwähnung.

(cep)