Frage der Regulierung

Telefonieren über das Internet, einst belächeltes Spielzeug von Computerfreaks, entwickelt sich zu einer Technik, die das Preisgefüge für herkömmliche Ferngespräche erschüttern könnte. Doch bisher ist nicht geklärt, welche rechtlichen Verpflichtungen die Anbieter von Internet-Telefonie treffen. Die EG-Kommission hat hierzu Vorschläge unterbreitet, die für Anbieter in Deutschland wichtige Bewertungskriterien enthalten.

Von: Felix Wittern, Dr. Michael Esser-Wellié

AT&T-Chef Armstrong verkündete vor wenigen Wochen in New York, daß er zukünftig seinen Kunden das Telefonieren über das Internet anbieten wolle. In ganz Amerika werden derzeit die notwendigen Einwahlknoten geschaffen, um bereits Mitte des Jahres Ferngespräche knapp 50 Prozent billiger anbieten zu können.

Auch in Deutschland drängen Anbieter auf den Markt. So will noch in diesem Jahr neben der Deutschen Telekom AG die Firma Avanti über das Netz der Bertelsmann-Tochter Mediaways Internet-Telefonie-Dienste in Deutschland anbieten (siehe Kasten). Daneben erwägen viele kleinere Provider eigenständige Angebote. Eines haben alle Produkte gemeinsam: Sie setzen auf das Internet Protokoll (IP) auf, bieten aber die Möglichkeit, Gespräche von Telefon zu Telefon zu führen (Phone-to-Phone).

Was aber sind die rechtlichen Rahmenbedingungen? Auf europäischer Ebene hat sich jüngst die EG-Kommission dazu geäußert. Eine entsprechende Bekanntmachung ist in englischer Sprache abrufbar unter: http:// europa.eu.int/en/comm/dg04/ lawliber/en/voice.htm. Diese beschreibt vorrangig den Status quo der Internet-Telefonie und prüft die sich abzeichnende Verbesserung der Technik lediglich am Rande (siehe Kasten Seite 64).

Die Frage lautet: Ist die Telefonie via Internet lizenzpflichtig? Dies hätte in Deutschland für den Anbieter hohe Gebühren zur Folge. So kann für die Erteilung einer bundesweiten Sprachtelefonlizenz (Lizenzklasse 4) eine Gebühr von bis zu drei Millionen Mark erhoben werden. Des weiteren sind mit einer Lizenzerteilung zahlreiche Sonderpflichten verknüpft, wie etwa die Bereitstellung von Notrufmöglichkeiten. Läge eine solche Lizenzpflicht nicht vor, bestünde lediglich eine Pflicht zur Anzeige an die Regulierungsbehörde.

Die wichtige Frage, ob ein Anbieter eine Lizenz benötigt, ist bis jetzt noch nicht geklärt. Das 1996 in Kraft getretene Telekommunikationsgesetz (TKG) beinhaltet keine explizite Regelung für Internet-Telefonie. Der Gesetzgeber hat das Problem der Lizenzierung dieser Technik offenbar nicht gesehen. Allerdings lassen sich auf Basis der bestehenden Gesetze Lösungsansätze entwickeln.

Internet-Telefonie ist nach dem TKG lizenzpflichtig, wenn diese einen "Sprachtelefondienst auf Basis selbstbetriebener Netze" im Sinne des TKG wäre. Dann müßten folgende Voraussetzungen erfüllt sein:

Der Dienst muß gewerblich bereitgestellt sein. Die Bereitstellung muß für die Öffentlichkeit stattfinden. Die Sprache muß direkt und in Echtzeit übermittelt werden. Die Übermittlung muß von und zu den Netzabschlußpunkten des öffentlichen, vermittelnden Netzes stattfinden.

Nach Auffassung der EG-Kommission stellen die derzeitigen Anbieter die Internet-Telefonie nicht gewerblich bereit. IP-Telefonie würde demnach noch nicht als eigenständiges Angebot vermarktet, sondern sei lediglich Bestandteil des allgemeinen Angebotes der Internet-Diensteanbieter. Diese Argumentation mag für die anfänglichen Formen der Telefonie über das Internet ihre Berechtigung haben. Sie ist - diese Auffassung vertritt auch die EU-Kommission - nicht mehr aufrechtzuerhalten, sobald die Anbieter eigenständige, ausschließlich auf Internet-Telefonie ausgerichtete Dienste bereitstellen. Insofern wird zumindest in Zukunft eine gewerbliche Bereitstellung für die Öffentlichkeit vorliegen.

Weiterhin muß ein direkter Transport der Sprache vorliegen. Ein solcher ist dann nicht mehr gegeben, wenn die Sprachnachrichten nicht direkt zum Netzabschlußpunkt transportiert, sondern während des Transportvorgangs in Form einer Zwischenspeicherung abgelegt werden. Diese Zwischenspeicherung muß dabei zu einer deutlich zeitversetzten Übermittlung der Nachricht führen, wie es etwa bei Voice-Mail der Fall ist. Eine lediglich transportbedingte Zwischenspeicherung wird nicht erfaßt. Daher ist auch unerheblich, daß es sich bei der Internet-Telefonie um einen paketvermittelten Dienst handelt, bei dem die Sprachdaten auf unterschiedlichen Wegen teilweise verzögert zum Empfänger gelangen.

Besondere Schwierigkeiten wirft die Frage auf, ob die Übertragungen in Echtzeit stattfinden. Zur Lösung dieser Frage hilft auch die Bekanntmachung der EG-Kommission nicht weiter, da sie die sich abzeichnende zukünftige Entwicklung nicht faßt. Eine eindeutige Definition dessen, was "Echtzeit-Übertragung" bedeutet, besteht nicht. Es kann jedoch die ITU-T-Empfehlung G.114 zur einseitigen Übermittlungszeit sowie die ITU-Teleconferencing-Spezifikation H.323 herangezogen werden (International Telecommunications Union: http://www. itu.ch). Danach sind bei einer klassischen Telefonübertragung auch Zeitverzögerungen bis 400 ms in einer Richtung noch akzeptabel. Dieser Grenzwert zeigt die Größenordnung an, wonach bei der Übertragung aufgrund subjektiver Wahrnehmung des Nutzers die Kommunikation von Menschen nicht mehr als direkt und unmittelbar zeitgleich empfunden wird. Liegt die Verbindung oberhalb dieses Grenzwertes, kommt es zu irritierenden Sprechpausen und Antwortzeiten sowie Doppelsprechen. Während in der Anfangszeit der Internet-Telefonie vielfach eine bis zu zwei Sekunden dauernde Verzögerung der Antwort bei dem Telefongespräch vorlag und die Unterhaltung von häufigen Nachfragen wie "Bist Du noch da?" geprägt wurde, verbessern sich nunmehr die Übertragungsraten. Derzeit fällt die Sprachqualität bei der Übertragung sehr unterschiedlich aus. Bei einer guten Verbindung liegt die Verzögerung bei circa 500 ms. Mit einem zunehmenden Ausbau der Bandbreite kommen auch Telefonate im Internet in den Bereich der Echtzeit-Übertragung.

Aus diesem Grunde ist zu erwarten, daß der Prognose der EG-Kommission entsprechend künftig die Internet-Telefonie als Sprachtelefon-Dienst einzuordnen ist. Damit besteht jedoch in Deutschland noch keine Lizenzpflicht. Denn eine Sprachtelefonlizenz muß dann vorliegen, wenn der Dienst auf der "Basis selbstbetriebener Telekommunikationsnetze" angeboten wird. An dieser Anforderung zeigt sich, daß der Gesetzgeber IP-Telefonie bei der Neuregulierung des Telekommunikationsmarktes durch das TKG nicht bedacht hat. Eine eindeutige Zuordnung ist nicht möglich. Auf den ersten Blick könnte man sagen, daß das Internet als "Netz der Netze" keinen Betreiber hat. Allerdings haben bestimmte Anbieter durchaus die Funktionsherrschaft darüber, ob eine Verbindung über bestimmte Übertragungswege und Vermittlungseinrichtungen geleitet wird.

Der "kleine" Internet-Telefonie-Anbieter, der lediglich den Anschluß zum Internet herstellt, dort aber keine Leitungen reserviert hat, kann nicht als Netzbetreiber bezeichnet werden. Denn ihm gehört die Infrastruktur nicht, er hat keine Leitungen angemietet und er hat keine über das TCP/IP-Protokoll hinausgehenden Möglichkeiten, den Datenfluß im Netz zu steuern. Daher unterliegt er auch keiner Lizenzpflicht.

Anders sind die Anbieter zu beurteilen, die Verbindungen über eigene Leitungen und Vermittlungsstellen herstellen oder mittels RSVP (Resource Reservation Protocol, http:// www.ietf.org) im Internet feste Bandbreiten reservieren. Sofern eine solche feste Bandbreite ausgenutzt wird, besteht auch die rechtlich bedeutsame "Funktionsherrschaft" und somit ein "Selbstbetrieb des Telekommunikationsnetzes". In diesem Fall ist der Anbieter auch als Betreiber des Netzes zu bezeichnen, und eine Lizenzpflicht liegt vor.

Völlig ungeklärt ist dann allerdings, wie hoch die daraus folgende Lizenzgebühr wäre und auf welcher Basis die Lizenzgebühr berechnet werden sollte. Offen ist auch noch, wie die Regulierungsbehörde die Internet-Telefonie einstufen wird.