Datenhigway in der Luft

Telefonieren funktioniert mit GSM sehr gut, aber die Datenübertragung ist viel zu langsam. Die kommenden Standards eröffnen neue Dimensionen für Mobile Computing.

Von: Hartmut Lüerßen

Zeit ist Geld. Mit einer Bandbreite von 9,6 kBit/s eignet sich das GSM-Netz (GSM= Global System for Mobile Communications) deshalb nur bedingt zur Datenübertragung. Nicht nur die hohen Verbindungskosten in den Mobilnetzen schmerzen, sondern auch die verlorene Arbeitszeit, die ein professioneller Anwender wartend vor seinem Notebook verbringt. Dementsprechend nutzen heute lediglich etwa drei Prozent der Teilnehmer ihr Handy für diesen Zweck, obwohl Unternehmen häufig Zugriffsmöglichkeiten auf ihre Intranets per Remote Access anbieten. Mit den kommenden Mobilfunkstandards "General Packet Radio Service" (GPRS) und später "Universal Mobile Telecommunications System" (UMTS), die schließlich 2 MBit/s durch den Äther schicken, dürfte sich das Bild des Mobile Computings grundlegend ändern.

GPRS macht’s möglich. Übertragungsraten bis theoretisch 115 kBit/s, von denen etwa 100 kBit/s in der Praxis zu erwarten sind, erlauben zum Jahreswechsel oder spätestens im nächsten Jahr erstmals wirtschaftliches Arbeiten via Funk. Weil die Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post GPRS nur als Erweiterung von GSM interpretiert, stehen den Anbietern von D1 bis E2 keine formalen Hindernisse im Weg. Daß sich Telekom, Mannesmann, E-Plus und Viag Interkom aber auch um die Lizenzen für die dritte Generation des Mobilfunks bemühen werden, liegt auf der Hand: Zum einen bietet die Technik Raum für neue Services, mit denen die Anbieter zusätzliche Geschäftsfelder erschließen können, zum anderen verringern sich langfristig die relativen Infrastrukturkosten pro Teilnehmer. Zwar bleibt die Sprachübertragung weiterhin die Nummer eins der Dienste, im Jahre 2005 rechnen Marktforscher aber bereits mit einem Datenanteil von 15 bis 20 Prozent, getrieben durch das Internet. Bei bis zu 2 MBit/s "on air" rechnen Hersteller, Netzbetreiber und Contentprovider mit großer Nachfrage nach mobiler Multimedia.

GSM lebt weiter

Um seine Investitionen in den Aufbau des GSM-Netzes muß sich indes kein Netzbetreiber sorgen, denn das GSM-Netz bildet weiterhin die Basis für den Sprachdienst. GPRS erfordert Investitionen in neue Infrastrukturkomponenten, weil die "Base-Station-Controller" (BSC) sowie das Switching-Subsystem für GPRS und später UMTS neue Schnittstellen benötigen. Immerhin stellt der Schritt von GPRS zu UMTS keinen aufwendigen Einschnitt dar; die GPRS-kompatiblen Komponenten im Netz unterstützen ebenfalls UMTS. Das versprechen jedenfalls die Hersteller. Insofern handelt es sich für die Netzbetreiber um eine sanfte Migration, zumal sie aufgrund der wachsenden Teilnehmerzahlen ohnehin ihre Netze permanent erweitern müssen. "High Speeed Circuit Switched Data" (HSCSD), eine Technik, die im GSM-Netz mehrere Kanäle bündelt, um Daten schneller zu übertragen, wird voraussichtlich in einer Übergangsphase GPRS Konkurrenz machen. Allerdings liegt die angekündigte Bandbreite von maximal 43,2 kBit/s deutlich unter der Kapazität von GPRS. Noch sind die Termine nicht veröffentlicht, aber möglicherweise unterstützt der eine oder andere Netzbetreiber HSCSD noch vor Ende des Jahres. Für den Herbst hat Nokia jedenfalls ein HSCSD-PC-Cardphone für Notebooks angekündigt.

Wer die flotten Datendienste nutzen will, der braucht ein kompatibles Dual- oder Multimode-Terminal, dessen Gestalt von einer PC-Karte bis zu einem Smartphone variieren kann. Die Anschaffungskosten dürften die typischen "Early Adopters" kaum abhalten, und für die professionellen Vielnutzer rentiert sich der Kauf durch flexibleres Arbeiten schnell. Je nachdem, welchen Dienst das Endgerät während der "Call-Setup-Procedure" anfordert, baut das Netz eine leitungsvermittelte Verbindung (GSM, HSCSD) oder eine paketvermittelte Verbindung (GPRS, UMTS) auf, wenn der Dienst verfügbar ist.

Abgrenzungsprobleme

Für den Anwender stellt sich die Frage, mit welcher Ausrüstung er die neu gewonnene Mobilität durch GPRS am sinnvollsten nutzen kann. Notebooks schrumpfen und Handheld-Computer, die vor zwei Jahren kaum mehr als Adressen speichern konnten, explodieren in ihrer Leistung. Die Grenzen verschwimmen. Auch die Betriebssysteme lassen aufgrund kompatibler Software kaum noch eine Abgrenzung zu. Natürlich klaffen Rechenleistung und grafische Darstellung noch etwas auseinander, aber Handhelds bieten mit E-Mail, Fax und Office-Programmen alle wichtigen Funktionen der Großen. Damit werden in vielen Fällen FullSize- und Full-Weight-Notebooks überflüssig. Wenn es nur darum geht, einigermaßen komfortabel E-Mails oder Faxe schreiben und empfangen zu können und ein wenig im Web zu surfen, reicht alternativ auch das 9110 von Nokia.

Außer der geringeren Größe sprechen zwei Argumente für die kleinen Riesen: Im Akku-Betrieb halten die Batterien länger und sie wiegen viel weniger. Der Mitte Juni vorgestellte "Psion Serie 5mx Pro", der auf Epoc32 läuft, wiegt nur 350 Gramm. Windows CE-Rechner mit Tastatur sind meist etwas schwerer. Von Insellösungen kann bei den Kleinen ebenfalls keine Rede mehr sein. Der Psion Serie 5mx Pro unterstützt außer den Office-Anwendungen von Microsoft nun auch Java und öffnet damit Wege zu neuen Applikationen, so daß die Handhelds den Notebooks das Terrain auch bei der Branchensoftware mehr und mehr streitig machen werden. Je weiter die Grenzen zwischen den Geräteklassen aufweichen, je mehr hängt die Auswahl davon ab, wie gut die spezifischen Stärken des jeweiligen Gerätes die Anforderungen des Anwenders oder seines Unternehmens erfüllen. Den Ruf des Spielzeugs haben sie bereits abgelegt.

Weltweit mobil arbeiten

Ein wichtiger Aspekt ist die Frage, wie international UMTS wirklich sein wird. Heute scheitert der GSM-Empfang etwa in Vereinigten Staaten an der unterschiedlichen Frequenz; nur Tripleband-Geräte kommen mit den verschiedenen Frequenzen hüben wie drüben zurecht. Im Juni hat sich die "Carrier Harmonization Group", die mit dem UMTS-Forum zusammenarbeitet, in Toronto zwar auf drei Übertragungsmodi verständigt: "Wideband Code Division Multiple Access" (W-CDMA), "CDMA 2000" sowie "Time Division Duplex" (TDD). Damit ist aber noch lange nicht das letzte Wort über den UMTS-Standard in seinen länderspezifischen Ausprägungen gesprochen. Die Frequenzen, die UMTS in Europa haben soll, sind in den USA bereits für andere Funkbetreiber reserviert. Das steht fest. Somit bleibt das Frequenzproblem auch der dritten Mobilfunkgeneration erhalten. Ob Multiband-Multimode-Terminals auf den Markt kommen, hängt von der Nachfrage ab. Die Weisheit, daß niemand eine neue Technik nur wegen der Technik kauft, hat sich schon oft bewahrheitet und dürfte auch für UMTS gelten. Vorteile muß sie bringen. Das "Iridium"-Netz ist das jüngste Beispiel dafür, daß die Zielgruppe der Erdenbürger, die astronomische Summen für weltweite Erreichbarkeit per Satellit und Roaming-Abkommen zahlen, begrenzt ist. Vermutlich bringt UMTS einen bunten Mix an spezialisierten Monomode- und Multimode-Geräten, so daß sich das Angebot weiter auffächert.

Bluetooth und Unified Messaging

Nicht nur die minimale Bandbreite des GSM-Netzes behindert das mobile Arbeiten, auch das umständliche Miteinander stört. Sobald "Bluetooth"-Schnittstellen verfügbar sind, hat endlich auch der Kabelsalat in der Aktentasche ein Ende. Anders als Infrarot setzt Bluetooth keine direkte optische Verbindung der Transceiver voraus, sondern arbeitet im 2,4 GHz-Funkband und baut zwischen maximal acht Geräten ein "Piconet" auf, das über eine geteilte Bandbreite von 1 MBit/s verfügt. So kann ein Anwender den Rechner in der Hand, den Drucker unterm Tisch und das Telefon in der Jackentasche haben und doch damit arbeiten. Als Zusatzausstattung für Handies sind Bluetooth-Adapter für nächstes Jahr angekündigt, integriert etwas später.

Von schnelleren Mobilnetzen profitiere auch die "Unified-Messaging"- Dienste, multifunktionale Kommunikations-Plattformen, die verschiedenste Nachrichtenformen unterstützen und transformieren können.

Für mittelständische Unternehmen bietet etwa Tobit Software das System "David" an, dessen 25-User-Lizenz 4500 Mark kostet. David erlaubt sowohl Text-to-Speech, also das Vorlesen einer Textnachricht als auch Antworten auf eine Mail per Telefon, so daß beim Absender der Mail eine Reply-Mail mit angehängter Wav-Datei eintrifft. Alternativen sind "C3-Messenger" von Comon oder "MRS 3.0" von PP-Com, das auch für größere Unternehmen konzipiert ist.

Unter http://www.smartmessage.de bietet die Media Service Group aus Oldenburg einen Web-basierten Unified-Messaging-Service an, bei dem der Benutzer eine E-Mail-Adresse des Typs "Benutzer@smartmail.de" erhält und eine eigene Telefonnummer, die sowohl Voice-Mail als auch Faxnummer ist. Außerdem kann der Anwender so per Telefon auf sein Konto zugreifen und sich beispielsweise seine eingegangenen Mails vorlesen lassen. Die Verbindung kostet national 10 Pfennig pro Minute bei einem 10-Sekunden-Takt. Einen ähnlichen Service bietet GMX mit seinen Profi-Accounts unter http://www.gmx.de.

Auch wenn der Traum von mehr Freizeit wohl kaum in Erfüllung geht: Die kleinen smarten Endgeräte, intelligente Informationsdrehscheiben und schnelle Daten per Mobiltelefon werden die Arbeit erleichtern und wenigstens einige Wege zwischen Büro und daheim ersparen.