Michael Waidner, Fraunhofer SIT

"Das Vertrauen in die Sicherheit der IT ist erschüttert"

Datenschutz als Standortvorteil

Was Deutschland bereits einen möglichen Standortvorteil verschafft, sind die hohen Datenschutzstandards hierzulande. Und die entsprechenden Gesetze sollen europaweit noch weiter zugunsten der Verbraucher verschärft werden. Ist das wettbewerbstechnisch nicht kontraproduktiv, wenn man sich die populären Web-Dienste aus Übersee betrachtet, die sich nicht wirklich um den Datenschutz scheren?

WAIDNER: Das sehe ich nicht so. Der europäische Markt ist auch für die Anbieter aus Übersee zu wichtig, als dass sie das neue EU-Datenschutzrecht, wenn es denn kommt, einfach ignorieren könnten. Ganz im Gegenteil erwarte ich mir deshalb von der Datenschutzreform einen sehr positiven Effekt auf unsere Wirtschaft. Die neuen Regelungen stärken die Rechte der Bürger und müssen technisch umgesetzt werden. Sehr oft wird dies Wissen und Technologie aus und in Europa erfordern.

Deutsche Anwender beispielweise sind besorgt um die Sicherheit und den genauen Speicherort ihrer Cloud-Daten. US-Anbieter von Cloud-Speicherdiensten werden alles tun, um die deutschen Kunden trotz dieser Sorge zu halten und deshalb beispielsweise eine selbstständige komplette Verschlüsselung ihrer Daten unterstützen. Dafür braucht es Lösungen - wie beispielsweise unser Projekt "OmniCloud". Kurzum: Datenschutzgesetze stärken den Kunden - den privaten Verbraucher genauso wie die hiesigen Unternehmen.

Meine Hoffnung ist, dass wir durch die Datenschutzreform und durch weitere Gesetzesänderungen und internationale Verträge dahin kommen, dass die Daten deutscher Bürger und Unternehmen bei amerikanischen und anderen Cloud-Providern mindestens genauso gut geschützt sind wie die Daten der dortigen Bürger und Unternehmen.

Inwiefern ist der Speicherort nicht eher ein nachgelagertes Problem und die Frage nach dem Transportweg, der die Daten überhaupt erst zu ihrem Speicherort bringt, viel entscheidender?

WAIDNER: Man muss beides absichern, den Speicherort und den Transportweg. Die anlasslose Massenüberwachung durch die Geheimdienste geschieht zu einem großen Teil durch das Lauschen auf den internationalen Transportwegen. Letztlich hilft dagegen nur die umfassende Ende-zu-Ende-Verschlüsselung, für alle Internet-Dienste und für alle Nutzer. Nur durch Ende-zu-Ende-Verschlüsselung lässt sich Sicherheit in der Datenübertragung erreichen.

Ein "Schengen-Routing", wie es die Telekom vorschlägt, kann die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung nicht ersetzen. Aber sie reduziert das Problem - die Geheimdienste haben auf weniger Daten Zugriff - und ergibt deshalb durchaus Sinn. Wenn auch nur gegen die Massenüberwachung, nicht gegen die gezielte Überwachung Einzelner.

Stichwort anlasslose Massenüberwachung. Deutschland arbeitet gerade an der Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung. Ihre Meinung dazu?

WAIDNER: Meine persönliche Meinung ist, dass wir sehr verantwortungsvoll mit dem Thema umgehen müssen. Die Verbindungsdaten, die hier auf Vorrat gespeichert werden sollen, sind sehr sensitiv und ihre Speicherung stellt deshalb einen erheblichen Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht der Bürger dar. Juristisch wird in Deutschland sicher alles getan werden, um einen Missbrauch dieser Daten auszuschließen, und in manchen Fällen können diese Daten für die Ermittlungsbehörden bestimmt wertvoll sein. Die Vor- und Nachteile der Vorratsdatenspeicherung kann man sehr unterschiedlich gegeneinander abwägen. Aber eine der Lehren aus der NSA-Affäre ist auch, dass selbst eine so auf Sicherheit ausgerichtete Organisation wie die NSA nicht gegen Innentäter sicher war. Ich bin deshalb sehr skeptisch, was die Vorratsdatenspeicherung betrifft.